LT230 Verteilergetriebe

Überholung eines LT230 Verteilergetriebes

Km Stand des Getriebes: unbekannt, aber vermutlich über 200000 km
Symptome: Großes Lastwechselspiel, dröhnendes Geräusch beim Gaswegnehmen vom Unterboden her, wenn der Antriebsstrang lastfrei läuft, Ölverlust, "Clonk of Death"

Der "Clonk of Death" war natürlich die völlig ausgenudelte Verzahnung der Ausgangswelle des Schaltgetriebes (LT77) und der Eingangswelle des Verteilergetriebes (LT230). Es wurde behoben durch Erneuerung des LT77 Schaltgetriebes und der dazugehörigen Eingangswelle fürs LT230. Das Dröhnen war dadurch leider nicht weg.

Beim Getriebewechsel habe ich jedoch bemerkt, dass der Ölverlust am LT230 durch die Bohrung der Zwischenwellenlagerung kam. Ein neuer O-Ring hat nichts gebracht, weil die Bohrung im Getriebegehäuse so stark aufgeweitet war, dass auch ein neuer O-Ring kaum mehr dichtete.

Nach dem Zerlegen zeigt sich folgendes:

Kupferspäne im Getriebegehäuse. Die Kupferspäne kommen von einer zerlegten Druckscheibe (Thrust washer) im Differenzial. Es sind nur noch 3 Druckscheiben an den Planetenrädern vorhanden. Die zerlegte Scheibe hat es aus dem Diff genudelt und sie lag nun in fein verteilten Flocken im Gehäuse. Ob solche Späne im Getriebe rum fliegen lässt sich beim Ölwechsel im Öl erkennen, oder noch besser: den grossen rechteckigen Deckel über der Zwischenwelle abnehmen und reinschauen.
Interessanterweise hat die fehlende Scheibe im Diff kein übermäßiges (Verdrehspiel) an den Flanschen zur Folge gehabt. Die Planetenräder haben jedoch schon deutliche Spuren im Diff-Gehäuse hinterlassen. Nicht so stark, dass man es nicht mehr nutzen kann, aber deutlich erkennbar auch an den Planetenrädern, wo die Druckscheiben noch da waren.
Meine Vermutung: Zu schlechtes (falsches) Öl benutzt, oder nicht häufig genug gewechselt. Da das Diff der wichtigste Punkt im VTG ist, ist meine Lehre draus: lieber öfter mal Getriebeöl wechseln.
Die Querwellen im Diff sind leicht eingelaufen. Im Prinzip können sie weiterverwendet werden, aber der Tausch ist billig. Die Planetenräder zeigen innen Laufspuren, aber sie sind maßhaltig. Also weiterbenutzen. Die Verzahnungen in den Sonnenrädern sind i.O.

Alle Zahnräder sind in erstaunlich gutem Zustand und können weiterbenutzt werden. Die Tragbilder auf den Zahnflanken sind perfekt. Kein Pitting, kein Karies, kein Zahnausfall.

Wirklich verschlissen ist die HI/LO Schaltmuffe, sie hat deutliche Abdrücke. Ich weiß, dass mit der Schaltmuffe eigentlich auch die Gangräder gewechselt werden sollten, aber deren Mitnehmer sind erstaunlicherweise recht gut. Die Schaltmuffe scheint also die "Soll" Verschleißstelle zu sein.

Ansonsten sind nur Lager, Dichtungen und Simmerringe zu wechseln.

Die Gehäusebohrung für die Zwischenwelle ist wie schon erwähnt um gute 3/10mm aufgeweitet und oval. Ich werde eine selbst gedrehte Buchse einsetzen.

Die Kosten für alles werden sich um die 240 Euro (2008) bewegen, nicht eingerechnet die Gehäusebuchse (das werde ich selber machen).

Achja, bevor ich es vergesse: Das VTG mit dem ich während der Überholung fuhr hatte 80000 drauf und das Dröhnen vom Unterboden war nicht weg. Also wahrscheinlich kommt das doch von der Hinterachse.

Los geht’s:

Das Zerlegen ist völlig unproblematisch. Sauberkeit und Platz um die Teile zu ordnen und in der Anordnungsreihenfolge einzusortieren sind hilfreich.
In folgenden Bildern sind die Teile, die gewechselt werden. Oben alle Lager. Links unten die Hi/Lo Schaltmuffe, in der Mitte die Thrust washer des Diffs, rechts die Stauchhülse der Zwischenwelle. Sie muss immer erneuert werden, da sie beim Einbau irreversibel gestaucht wird.
Die Lager der Eingangswelle sind nicht dabei, die hatte ich schon erneuert, als ich das Schaltgetriebe (wg oben erwähntem "Clonk") getauscht habe.

Vergleich alte Schaltmuffe (rechts) - neue Schaltmuffe (links). Als ich die neue Schaltmuffe hatte, zeigte sich, dass sie die gleichen Abdrücke aufweist. Mist, das soll also so sein! Offensichtlich ist das die Rastung, die verhindert, dass die Gänge rausfliegen.

Hinzu kommen Dichtungen und Wellendichtringe.

Das Differenzial präsentiert sich so:

Zum Vergleich: Diff mit neuem Thrust washer (links) und altem (rechts). Hier sieht man auch recht gut, dass die Tragbilder der Zahnflanken ganz gut aussehen. Oben auf dem Sonnenrad liegt die braune Kunststoffdistanzscheibe

Zustand des Diff Gehäuses mit Laufspuren der Thrust washer. Hätte man evtl. auch erneuern können, was aber den finanziellen Rahmen gesprengt hätte. Ein namhafter Getriebebauer aus GB sagte mir jedoch telefonisch, dass auch sie solche Diff Gehäuse weiter benutzen.

Stauchhülse

Stauchhülsen der Zwischenwelle alt (links) - neu (rechts)

Die nachgeplante Dichtfläche. Das war alles krumm und bucklig. Die hellen Stellen sind durch Abziehen mit einer grossen, feinen Feile abgetragen

Kraftfluss im LT230:

Hier sieht man den Kraftfluss im Verteilergetriebe (HI-Einstellung):

Das Eingangszahnrad ist ganz unten. Hier kommt das Drehmoment an und wird auf das mittlere Zahnrad der Zwischenwelle übertragen. Von der Zwischenwelle aus geht das Drehmoment weiter über das jeweils im Eingriff befindliche Straßengangrad (rechts) oder über die Geländeuntersetzung (links). Über das dazugehörige Zahnrad auf der Hauptwelle, das über die Schaltmuffe mit der Welle verbunden ist, wird das Drehmoment nun auf das Gehäuse des Differenzials übertragen und von dort über die Planetenräder des Diffs auf die Sonnenräder und damit an die Abtriebswellen für Vorder- und Hinterachse.

Kraftfluss

Häufig wird bei eingebautem Getriebe ein Radialspiel am Antriebsflansch festgestellt. Das muss nicht zwingend das Abtriebslager sein. Die Abtriebswellen stecken innen nur in den Sonnenrädern des Diffs. Man spürt unter Umständen am Flansch darum nur das Spiel im Diff am anderen Ende der Welle, wenn die Welle insgesamt um das Abtriebslager schwenkt.

Auf diesem Bild sieht man leider etwas unscharf die Schaltmuffen der HI/LO Fahrstufen (rechts), sowie der Differenzialsperre (links). Die Differenzialsperre verblockt einfach das Gehäuse des Differenzials mit der Vorderachsausgangswelle.

Hi-Lo

 

Bis hierher die Bestandaufnahme zum Zustand des Getriebes. Jetzt geht’s los mit den Einstellungen am Differenzial.

 

Die Ausdistanzierung des Diffs habe ich folgendermaßen bewerkstelligt: Dazu habe ich mir Distanzscheiben aus Alufolienpaketen mittels auf der Drehbank gefertigtem Stempel ausgestanzt. Eine Alufolie hat 1,5/100mm Dicke. Entsprechend lassen sich unterschiedlich dicke Scheiben herstellen und damit das Diff distanzieren. Die Folienscheiben halten natürlich die Belastung im Betrieb nicht aus und darum werden sie nur zur Messung benutzt und damit die Dicke der erforderlichen Scheiben ermittelt.
Leider stellte sich heraus, dass die eingebauten Originalscheiben schon die dicksten sind, die es gibt (1,45mm). Ich brauche sie nun aber 1/10mm größer. Damit werde ich sie wohl selbst anfertigen müssen. Interessant ist, dass diese Scheiben unter den Sonnenrädern überhaupt keinen Verschleiß hatten. Sie sind immer noch 1,45mm dick, obwohl die Scheiben unter den Planetenrädern quasi völlig verschwunden sind. Das erklärt wohl auch, warum die Distanzscheiben unter den Sonnenrädern aus Kunststoff sind. Sie werden offensichtlich kaum belastet.

Alu-Scheiben

Alte Kunststoffscheiben oben, neue Rotgussscheiben unten.

Scheiben

Rotgussscheiben nach dem Maß der Alufolienscheiben einschleifen.

schleifen

immer feste Schleifen, reinigen und dann Diff zum Test zusammenschrauben …

Was, passt immer noch nicht? Dann noch mal schleifen …

schleifen

… zu und wieder auf und wieder zu …

Schrauber

Das Diff ist nun mit selbst gedrehten Rotgußscheiben ausdistanziert. Die Anweisung im WHB das Diff mit der Schlepplastwaage auszudistanzieren kann man getrost vergessen. Die Scheiben gibt es (wenn man sie nicht grade selbst dreht) in Abstufungen von 5/100mm. Der Unterschied zwischen klemmt total und läuft schön locker sind aber schon wenige Hundertstel. Ich habe die Scheiben auf der Glasplatte eingeschliffen und mich lieber für locker entschieden. Nach 10x Diff auf und zu wars erledigt 😐. Auch die Anweisung die Zahnstellungen beim Zerlegen zu markieren kann man getrost vergessen, denn die Sonnenräder haben wie es sich gehört ungerade Zähnezahlen. Damit rotieren die tragenden Zähne durch und der Verschleiß verteilt sich immer gleichmäßig.

neue Scheiben

Nun geht’s an die Reparatur der Zwischenwellenbohrung:

Erst habe ich das Gehäuse auf der Fräsmaschine aufgespindelt und dann die gedrehte Buchse eingeschrumpft. Gehäuse im Backofen auf 150°C erwärmen, Buchse in den Gefrierschrank und schon plumpst sie rein. Ich hatte flüssigen Stickstoff für die Buchse zur Verfügung, das plumpst noch besser.

Nach erfolgreicher Reparatur der Zwischenwellenbohrung habe ich noch in den höchsten Punkt des VTG ein 8er Gewinde gebohrt um darin eine Ringschraube montieren zu können. Ich kann das Getriebe nun zur Montage im Auto an dieser Schraube aufhängen und an einer quer im Auto liegenden Stange mit dem Flaschenzug hochziehen. Es lässt sich damit viel leichter einbauen, als nur zu zweit von unten hochzustemmen und dabei ziemlich sicher den Eingangssimmerring an der Schaltgetriebehauptwelle beim drüber schieben zu ruinieren.

Differenzialgruppe im Hauptgehäuse eingesetzt:

Diff-Gruppe

Nun wird die Hauptwelle distanziert und schon taucht das nächste Problem auf. Die Ausdistanzierung der Hauptwelle (und auch der Eingangswelle) ist abhängig von den Dichtungsstärken der verwendeten Dichtungen für die Achsabtriebsgehäuse (bzw für den PTO-Deckel). Ich habe erst mal die Lagerschalen ohne Distanzring eingebaut, die Dichtung raus gelassen und das Wellenspiel mit der Messuhr gemessen. Den Distanzring, den ich mit meinen vorhandenen Dichtungen bräuchte (1,20mm) gibt es nicht. Hmm ... seltsam .. die britischen Ingenieure. Na gut, dann mach ich ihn eben wieder selber.

messen

Diffgehäuse nach der Distanzierung endgültig aufsetzen: Dazu ist es notwendig vor der Montage des Diffgehäuses den kleinen Deckel auszutreiben (roter Pfeil), Durch diese Bohrung wird nach der Montage des Gehäuses die Welle für die Differenzialsperrenklaue eingeführt. Den Deckel nach der Montage mit Dichtungsmasse wieder reinklopfen.

Deckel
Gewinde dichten

Alle Schrauben, die in den durchgebohrten Gewinden sitzen mit Dichtungsmasse einbauen. Durch die Gewinde suppt sonst immer ein wenig Öl raus.

Bis auf die Eingangswelle ist nun alles wieder fertig. Leider tauchte dabei wieder eine kleine unvorhergesehene Macke auf. Eine Lagerschale der Eingangswelle hat eine deutliche Verfärbung an einer Stelle, obwohl sie erst 5000km gelaufen ist. Es scheint ein Herstellungsmangel zu sein. Die Stelle ist zwar glatt, aber bevor da ein Lunker raus fällt oder sich sonst was ablöst hab ich sie lieber neu besorgt.

Verfärbung

Die Montage des LT230 ist hier nicht vollständig beschrieben. Der Grund dafür ist, dass alle anderen Montagepunkte im WHB absolut ausführlich beschrieben sind und deshalb nicht wiedergekäut werden müssen. Ich habe im Prinzip nur die Arbeitsvorgänge beschrieben, die nicht im WHB erwähnt sind, weil man in diesen Handbüchern ja doch immer wieder davon ausgeht, dass alle Einzelteile in einbaufertigem und maßhaltigem Zustand sind. Meine Beschreibung der Überholung bezieht sich also hauptsächlich darauf, was man tun kann, wenn das WHB nicht weiterhilft. Ansonsten ist das WHB zusammen mit meiner Beschreibung ein guter Helfer.

hier kommt der Abschlußbericht:

Wowww ... was für ein Unterschied!

Die Geräuschentwicklung ist um Klassen niedriger geworden, was aber wohl auch daran liegt, daß es die neuere Version mit den geänderten Zahnrädern ist. Das Lastwechselspiel ist deutlich reduziert, fast verschwunden. Die Geländeuntersetzung flutscht rein wie Butter, kein Krachen mehr solange die Fuhre rollt. Die Diffsperre reagiert quasi sofort. Keine Gedenkminute mehr, bis die Muffe endlich über die Verzahnung rutscht.

Mit der Ausdistanzierung des Diffs kann ich wohl nicht so falsch gelegen haben, denn es gibt keinerlei Singen oder andere Geräusche.

Und einige andere Effekte gibt es auch noch, wobei ich mir nicht im Klaren drüber bin, ob das tatsächlich eine Auswirkung des Transfergetriebes sein kann.

Das Rasseln des Getriebes im Leerlauf ist weg. Seit ich das Ashcroft Schaltgetriebe drin habe hatte ich oft bei niedrigem Standgas ein Rasseln und Rattern im Getriebe, als ob sich alle Zahräder wild schütteln würden. Ashcroft beschreibt das als normal, drum hab ich mir keine Gedanken drüber gemacht. Sobald man einmal die Kupplung trat wars wieder weg. Aber nun ist es völlig weg!

Alles in Allem: Ein voller Erfolg!

Kosten: ca. 250,- Euro Materialkosten, wobei sich inzwischen bei genauem Vergleich noch rausstellte, daß man die neue Schaltmuffe für HI/LO für 70,- Euro wohl hätte sparen können. Die Abdrücke, die ich für Verschleiß hielt sind in der neuen Schaltmuffe auch vorhanden und sollen die Verzahnung festhalten. Auf diese Art sorgen die Vertiefungen dafür, das der eingelegte Gang einrastet und nicht so leicht rausspringt.

Arbeit war`s nicht wenig, aber das fällt ja eindeutig unter die Kategorie Spaß

Inzwischen ist das Getriebe gute 15.000km gelaufen, davon einiges in der Wüste und auf Sand- und Steinpisten. Natürlich hängen wieder ein paar Öltröpfchen dran, aber es hält sich absolut im Rahmen. Kein messbarer Ölverlust. Es läuft und läuft und läuft ….

 

Inzwischen machte ich mehrere LT230 und entschloss mich, in meinem alten OneTen eine Übersetzung von 1.1 zu benutzen. Das ist eine seehr lange Übersetzung und der Motor könnte das niemals ziehen. Trotzdem war es eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Bis zu 80 km/h läuft das Auto wie ein 4-Gang-Auto. Den 5. kann ich nicht benutzen. Aber dann schalte ich in den 5. Gang, die Drehzahl fällt stark ab und das ganze Auto wird viel leiser.
Die Höchstgeschwindigkeit liegt nach wie vor bei ca. 140 km/h, weil ich nicht auf maximale Leistung gesetzt habe. Ich habe beim 200Tdi nur das Drehmoment im unteren Drehzahlbereich erhöht und das war es absolut wert. Den 5. Gang habe ich auf langsameren Straßen nie vermisst. Die normale Reisegeschwindigkeit auf guten Straßen liegt wie früher bei 100 km/h - 110 km/h. Aber viel komfortabler.
In meinen Augen ist es sogar gut, das Getriebe zu entlasten, denn der 4. Gang, in dem ich jetzt meistens fahre, geht direkt durch das Schaltgetriebe, ohne irgendwelche Zahnräder zu benutzen.

Für LT230 benutze ich einen einteiligen HD Pin im Diff , der deutlich steifer ist als zwei separate Wellen.

Den grossen Ölsumpf für mehr Ölvolumen benutze ich auch. Nach einer längeren bergauf Passfahrt habe ich mit dem IR Thermometer 65°C am LT230 gemessen.

 

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